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Zum Abschluß eines kunstvollen 2023 wollen wir einen schönen und ergreifenden Beitrag zur Kunst feiern: Rüdiger Otto von Brockens Rede zur AusstellungseröffnungMusic on the Wall” von Ken Denning im Kulturverein Seeweg Gut Wittmoldt e.V.

Die Ausstellung von Ende Mai bis Anfang Oktober in der Nähe von Plön war eine besondere Veranstaltung. Nicht nur, dass es eine Solo-Ausstellung von Ken Denning in Deutschland war, sondern auch, daß Ken Denning Johann Sebastian Bachs “Goldberg Variationen” auf Papier und Leinwand eingefangen hat. Er hat Musik, Bewegung, Emotionen gemalt. Er hat Töne in Bilder verwandelt. Er hat Noten zu Eindrücken geformt. Zur Eröffnung der Ausstellung waren also bewegende Worte und tiefe Einsichten gefordert, die den Künstler, aber auch das Werk vorstellen. Rüdiger Otto von Brocken hat diese Worte gefunden und einen beeindruckende Text verfasst, der Ken Denings Arbeiten und Sichtweisen hervorragend darstellt.

Rüdiger Otto von Brocken am 29. Mai 2023:
»Es war Liebe auf den ersten Blick, als ich vor mehr als 20 Jahren im Richard-Haizmann-Museum die ersten Bilder von Ken Denning zu sehen bekam. Doch wie das so ist mit großen Gefühlen, wurden mir deren Tragweite – was für ein treffender Begriff – erst einige Zeit später klar. Das hatte weniger mit Kens Bildern als mit mir selbst zu tun.

Wenn man Kunst als Reduktion auf das Wesentliche versteht, dann waren es wohl vor allem die zurückgenommenen Farben, duftigen Flecken und gebündelten, aber manchmal auch freien, fast spielerisch assoziativen Lineaturen, die mir seinerzeit ans Herz gingen und trotz – oder gerade wegen ihrer üppigen Sparsamkeit – großen Nachhall in mir auslösten. So wie die umwerfend kargen Landschaften des Nordens, an denen ich mich bis heute nicht satt sehen kann. Von Händel und Bach war damals noch gar nicht die Rede.

Tatsächlich ist das, was wir hier und heute sehen (und ich bitte das folgende kleine Wörtchen keinesfalls misszuverstehen) „nur“ ein Ausschnitt des Gesamtwerkes von Ken Denning. Dein Lübecker Kollege Falko Behrendt spricht Dir, lieber Ken, – ich zitiere – „einen großen grafischen und ästhetischen Reichtum“ zu, „den Du auf engstem Raum zum Blühen bringst“. Er lässt herzlich grüßen.

Bei mir fiel der Groschen, der oberflächliche Reize auf eine neue tiefere Ebene „hebt“, erst Jahre später – während eines Aufenthaltes auf den Färöer-Inseln, die Dir als Maler und Grafiker über so viele Jahre als Motiv dienten. Als Berichterstatter meiner Zeitung nahm ich in der Hauptstadt Torshavn an einem Symposium über Wale teil und traf dort bei nordatlantischem Schmuddelwetter unter anderem ein Paar, das im Auftrag der kanarischen Regierung vor Teneriffa Feldforschungen über ortstreue Grind- oder Pilotwale anstellte. Das sind Verwandte jener Spezies, die auf den Färöern Jahr für Jahr in Buchten zusammengetrieben und dann in einem „rituellen“ Akt getötet werden.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Am Tag unserer Abreise fuhren wir in einem Taxi zum Sturm-umtosten Flughafen des weltabgeschiedenen, doch mittlerweile zur Touristen-Attraktion mutierten Archipels. Und dann passierte es: In Kaskaden stürzten gewaltige Regenfälle (die tiefere Bedeutung dieses Wortes ist mir auch erst auf den Färöern klargeworden!) die schroffen Felsen herab und ließen auch letzte grüne Flecken in einer gewaltigen pulsierenden Unwucht von Schwarz- und Weiß-Tönen verschwinden. Mit Blick auf unser Oberthema „Music on the Wall“ könnte man auch von natürlichen Variationen sprechen.

Noch beeindruckender war jedoch, dass sich dieses spektakuläre Naturereignis vor meinem inneren Auge in die Realität eines Ken-Denning-Bildes verwandelte. Dessen Malereien und Grafiken wollen zwar zu aller Letzt Geschichten erzählen. Doch wie man sieht, finden Geschichten in ihnen statt. „Du brauchst etwas, um deinen Mantel aufzuhängen, hat Ken einmal gesagt. Und er meinte damit Landschaften, die er nach eigenem Bekunden niemals durchwandert, ohne in seinem inneren Ohr Musik zu hören. Zitat aus dem Katalog „Undervejs“, zu Deutsch „unterwegs“ oder möglicherweise besser „im Gange“:

Irgendwo da
wird eine Melodie gespielt,
die Partitur einer Landschaft.

Unabhängig davon, wäre es ihm – bei aller Wertschätzung für die großen Landschaftsmaler des vorvorigen Jahrhunderts – niemals in den Sinn gekommen, solche Naturerlebnisse simultan in Bilder umzusetzen, obgleich er das könnte. Ken geht es um den Prozess der Transformation, geht es darum, subjektive Landschaftserfahrung mittels malerischer oder grafischer Verdichtung in seine eigene Sprachwelt zu übertragen.
Die Wahl der Mittel, derer er sich dabei künstlerisch bedient, folgt demselben Prinzip. So gibt es in seinem Werk – anders als in dem vieler seiner Kollegen – keine spezifischen Themen für Malerei, Zeichnung oder Grafik. Ausschlaggebend ist hier wie dort der Weg zum Bild.

Was für Landschaften gilt, das trifft erst recht auf die Musik zu – ist sie doch letztlich nichts anderes als die Partitur einer Seelen-Landschaft oder zumindest eines Gemüts-Zustandes. In zugespitzter Form hat Kens Kollege, Wolfgang Werkmeister, es einmal so formuliert: „Besonders spannend wird es immer dann, wenn ein Bild besser wird als die Wirklichkeit.“ Ja, solche Momente gibt es wirklich, aber nur wenige Maler, die sich daran nicht überheben. Ken Denning ist einer von ihnen.

Doch was sind die zentralen Eckpfeiler dieses Transformationsprozesses?
Nun, wichtig ist, dass sich das gestaltete Bild vom spontan Wiedererkennbaren oder Wieder-Erhörbaren entfernt, ohne deshalb den Bezug zur Realität zu verlieren. So hat es der Kieler Kunsthistoriker Jens Martin Neumann einmal beschrieben. Oder profaner gesagt: Der Nagel bleibt in der Wand. Aber es gibt so viel mehr als nur einen Mantel, den man daran aufhängen kann. Und natürlich ist auch der Betrachter Teil des Prozesses – manchmal vielleicht sogar mehr als ihm lieb ist. Oder wie erklärt es sich, dass Menschen ein Bild des Künstlers mit einem Landstrich an der dänischen Ostküste assoziieren, obgleich der beim Malen eine Landschaft in Island vor Augen hatte?

Bei der Umsetzung subjektiver Landschaftserfahrungen in Malerei oder Grafik geht es dem Künstler tatsächlich nicht anders als uns selbst bei der Rückführung seiner Bilder in unsere Vorstellungswelt. Ken beschreibt diesen Vorgang so:

Versuche zu peilen,
versuche mit meiner Landkarte
einen Weg zu finden.
Die Landschaft, die ich finde
gibt es auf keiner Landkarte.

Oder:
In meinen Bildern gibt es keine Wahrheiten.
Ich mag Wahrheiten nicht.
Auch, weil das Bild dort wohnt,
wo es keine Wahrheit gibt.

Was für eine erfrischend demokratische Botschaft – in Zeiten wie diesen, da so viele die Wahrheit für sich und nur für sich in Anspruch nehmen.

Noch einmal Ken:
Wenn ich nur male, was ich weiß,
male ich gar nichts.
Mit dem Zufall zusammen,
kann ich bestenfalls
malen, was ich nicht weiß

Ich bitte um Entschuldigung, aber ich kann Ihnen an dieser Stelle einen philosophischen Kalauer des Sylter Malers Siegward Sprotte nicht ersparen – auch wenn ich ihn schon dutzende Male zitiert habe:

„Wenn der Zufall abnimmt,
nimmt der Abfall zu.“
Das gilt für alle Künste.

Aber unsere Geschichte geht noch einen Schritt weiter, denn was der Betrachter hier auf kleinen und großen Bildtafeln zu sehen bekommt, ist in vorletzter Instanz das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit den Grenzen und Möglichkeiten der Malerei. Und in letzter Instanz die Suche nach den Säulen oder – weniger episch gesagt – Stützpfeilern unserer Welt.

Ken Denning ist ein malender Philosoph, einer, der seine Fragen mit den feinsten Sensoren stellt, die ihm zur Verfügung stehen: Pinsel, Stift und Radiernadel und manchmal mit wenigen, aber vielsagenden Worten. Auch in diesem Punkt ist er bekennender Minimalist. Und genau hier zeigt sich die besondere Verbindung zur Musik von Johann Sebastian Bach. Mit ihm verbindet Ken der Wunsch nach Struktur, die unermüdliche Suche nach den verbindenden Elementen des großen Welttheaters. Ansätze dafür lassen sich besonders gut aus der und durch die Kunst ableiten, ganz gleich ob es sich um Malerei oder Musik handelt. Der Folk- und Rock-Musiker Sting hat einmal gesagt, dass er bis heute nicht weiß, wie seine Songs entstehen, obgleich er deren hunderte geschrieben habe. Doch glaube er fest daran, dass Musik so etwas wie einen narrativen Charakter, eine erzählerische Struktur habe, der es nachzugehen lohne.

Bei Ken Denning geht es um Bilder, um den Prozess des Malens, um die Verschmelzung unterschiedlicher Ausdrucksformen und letztlich um die Neu-Entdeckung der Welt in einer zunehmend Transzendenz-losen, von Abenteuern befreiten Zeit. Ich habe unserem Künstler einmal CDs mit Musik des zeitgenössischen Komponisten Steve Reich geliehen und im Stillen gehofft, dass sie ihn zum Malen oder Zeichnen animieren könnten. Leider ohne Erfolg. Es ist bei Händel und Bach geblieben. Aber er würde eben auch niemals mit einem Motorrad durch sein Dorf fahren, wohl aber mit einem betagten Traktor. Das heißt nicht, dass Ken ein Konservativer ist, sondern nur, dass er den Fortschritt bewahrt. Seine Annäherung an die Welt besteht darin, vorgefundene perspektivische Räume in assoziative Farb-Räume zu verwandeln.

Doch bevor wir dieses besonderen Transformationsprozesses anhörig werden, den Übergang von Klang-Farbe zu Farb-Klang und von Farb-Klang zurück zu Klang-Farbe erleben werden, möchte ich mich bei Ihnen, aber vor allem bei Ken Denning bedanken. Lieber Freund, Du hast meine Welt mit Deiner Welt der Malerei und Grafik ungemein bereichert und längst genauso einen Platz in meinem Herzen gefunden wie Deine Bilder. Schön, dass es Dich gibt.

Das beinahe letzte Wort gehört Dir.

Zitat:
„Ich male weiterhin an einem einzigen Bild.
Die einzelnen Aussagen sind Wörter in einem Buch,
das noch nicht fertiggeschrieben ist.“

Und dem – um im Bild zu bleiben – hoffentlich noch viele Wörter folgen werden.
Ich kann jedenfalls nicht genug davon bekommen.
Und nun – mit bestem Dank fürs Zuhören – zu den Goldberg-Variationen.«

Rüdiger Otto von Brocken wurde 1958 in Husum geboren. Nach dem Abitur studierte er in Lethbridge/Alberta (Kanada), Berlin und Hamburg Politische Wissenschaften und arbeitete danach an verschiedenen Standorten für den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z). Ein Schwerpunkt seines journalistischen Schaffens waren kulturelle Themen. Seit diesem Jahr ist Otto von Brocken im (Un)ruhestand.